‚Töne und Zeichen‘
Sprachmusik/Musiksprache, ein quasi szenisches Konzert
Im Konzert der Kompositionsinitiative Kassel (KIK) am 18. Juni im Palais Bellevue in Kassel trifft Musik auf das gesprochene und gesungene Wort, doch gehen die Komponisten der KIK über das Melodram (als historisches Vorbild ) hinaus, indem die Musik nicht nur der Illustration dient, sondern bisweilen Sprache selbst zur Musik wird – ihre rhythmisch-melodischen, also inneren musikalischen Qualitäten zum Ausdruck kommen. Es entsteht so eine Fülle unterschiedlichster Musikszenen, die die Sprache über das rein Semantische hinaus wahrnehmbar machen.
Programm:
Musa Nkuna: „Ruminations“ für Violine, Klarinette und Sprecher, Op. 54 (2024).
Diego Jascalevich: „Cambialache“
Maximilian Wenning, Lesung
Diego Jascalevich, Charango
„Maradona“
Der Klang von Diego Maradonas zwei Toren gegen England 1986. Einschließlich des Handtors, das die Nationalmannschaft schließlich zum WM-Sieg führte, inmitten eines Nachkriegsklimas zwischen den Nationen.
Begleitet und neu harmonisiert von Charango, mit der Stimme des legendären Fußballkommentators und Politikjournalisten Victor Hugo Morales.
PAUSE I
Jens Josef: Musik zu Gedichten von Max Herrmann-Neiße für Sprecher und Flöte
Werner Kirschbaum: L-Points für Sprecher und Klavier
- Erleuchtet
- Hier und Heute
- Liebes Publikum
Ulli Götte: „sinnlos“ für Sprecher, Sopran, Violine, Cello, Klavier und Schlagzeug
Texte: Ulli Götte
Pause II
Martin Forciniti: „Letzte Briefe aus dem Holocaust“
Vertonung dreier Briefabschnitte für Tenor, Sprecher und Cello
Michael Töpel: Francois Villon-Rezitationen. Drei Balladen für Schauspieler und Klavier
Entrée: Spruch eines fahrenden Gesellen aus dem Mittelalter
Programmheft-Notizen:
Musa Nkuna: Ruminations
In einer Welt, die oft von Zwietracht und Missverständnissen geprägt ist, erhebt sich die Musik als universelle Sprache der Einheit. Dieses Werk ist eine Hommage an den Frieden – nicht nur als Abwesenheit von Konflikt, sondern als aktives Streben nach Verständnis, Mitgefühl und Gerechtigkeit.
Die Texte bilden rufen dazu auf, die Dissonanzen der Spaltung durch die Harmonie des Miteinanders zu ersetzen, Empathie als Kompass unseres Handelns zu nutzen und den Frieden als ein lebendiges Erbe für kommende Generationen zu gestalten. Durch Musik und Wort verweben sich ihre Botschaften zu einer klanglichen Reflexion über Hoffnung, Versöhnung und die Schönheit einer Welt, die in den Farben der Einheit erstrahlt.
Diego Jascalevich: Helmut
Jens Josef: Musik zu Gedichten von Max Herrmann-Neiße
Der kurze Zyklus stellt 4 Gedichte des expressionistischen Lyrikers zusammen, die Anordnung ist an seiner Biographie als einst gefeireter, später von den Nazis verfolgten, im Exil einsamen und verbitterten Dichter orientiert. Das Werk ist als Szene gedacht, teilweise vermischen sich Text und Musik zu einem reinen Gesamtklang.
Ulli Götte: Sinnlos
Sagen, was ist‘ – hat einst Rudolf Augstein gefordert. Aber wer tut das schon? Sprache wird sehr häufig missbraucht, um Interessen zu bedienen, die Wahrheit zu verbiegen, sich Vorteile zu verschaffen. Schon die griechischen Rhetoriker haben der Sprache die Macht verliehen, die Argumentationskunst vor die wahrheitsgemäße Aussage zu stellen.
Der Titel von ‚sinnlos‘ verweist darauf, dass hier Sprache jenseits einer Aussage fungiert; die Klänge der Wörter dominieren, aber auch Assoziationen stellen sich ein, wie denn eine Phrase weitergehen könnte.
Die polyphon-gestenreiche Komposition selbst verwendet Klavier, Schlagzeug, Cello und Oboe. Die Gesamtform ist als ein Rondo zu begreifen.
Werner Kirschbaum: L-points
Wie das Leben so spielt, wäre man doch…, kommt was…, was soll das…, alles gut!
Martin Forciniti: „Letzte Briefe aus dem Holocaust“ (2024)
Vertonung dreier Briefabschnitte für Tenor, Sprecher und Cello
Der Titel des Werkes dürfte selbsterklärend sein. Die Texte stammen aus Ida Goldiş letztem Brief an ihre ältere Schwester Clara, am Vorabend ihrer Deportation aus dem Ghetto Kischinew nach Transnistrien und dem letzten Brief, den Perla Tytelman, ihr Sohn Samuel und ihre Tochter Rega aus dem Warschauer Ghetto an das Familienoberhaupt, Józef (Juzek) und an Rachel in Sibirien schickten (1941).
Michael Töpel: Francois Villon-Rezitationen. Drei Balladen für Schauspieler und Klavier (2024)
Lasterhafte und erotische, freche, aber auch sehr, sehr sanfte und liebevolle Balladen des Vaganten François Villon (1431 – nach 1463), auf der Basis von Paul Zechs freier deutscher Nachdichtung komponiert als Rezitationen für einen Schauspieler, der gelegentlich auch singt und mitunter auch Tamburin spielt, und für Klavier, welches sich zwischendurch den Klang einer Donnerröhre ausleiht. Als Entrée der Spruch eines fahrenden Gesellen aus dem Mittelalter – von einem Villon-Kollegen: „Ich komm, weiß nit woher / ich bin, weiß nit wer / ich leb, weiß nit wie lang / ich sterb und weiß nit wann / ich fahr, weiß nit wohin / mich wundert’s, dass ich fröhlich bin.“
Michael Töpel
